Hans Thoenen, 1928 - 2012
Prof. Dr. h.c. mult. Hans Thoenen, herausragender Neurobiologe und geschätzter Kollege, starb am 23. Juni nach langer Krankheit.
Hans Thoenen legte im wahrsten Sinne des Wortes den Grundstein für das Max-Planck-Institut für Neurobiologie. 1977 wurde er, damals Professor für Pharmakologie am Biozentrum in Basel, von der Max-Planck-Gesellschaft mit einem besonders attraktiven Angebot umworben: Neben dem großzügigen Auf- und Ausbau seiner eigenen Forschungsabteilung enthielt das Angebot auch die Möglichkeit zur Umorganisation und dem Neubau eines Instituts. Eine Herausforderung, die Hans Thoenen nicht ablehnen konnte, so gerne er in der Schweiz geblieben wäre. So kam er nach Martinsried, wo er den Neubau für das Theoretische Teilinstitut des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie beaufsichtigte. 1984 zog das Teilinstitut von der Münchner Innenstadt nach Martinsried und wurde 1998 unabhängig und in MPI für Neurobiologie umbenannt. Doch nicht nur die Gebäudestruktur geht auf Hans Thoenen zurück. Er erweiterte die Forschungsstruktur, indem er neben den von Direktoren geleiteten Abteilungen auch von diesen unabhängige Nachwuchsgruppen einführte. Dieses Konzept, zusammen mit einer hohen Internationalität, prägt noch heute die Struktur des MPI für Neurobiologie und vieler anderer Max-Planck-Institute.
Hans Thoenen beschäftigte sich mit dem Vorkommen und den Wirkmechanismen von Nervenwachstumsfaktoren. Seine Pionierarbeiten haben maßgeblich zur Erschließung des damals ganz neuen Forschungsfeldes beigetragen. Diese Wachstumsfaktoren sind körpereigene Signalstoffe, die eine zentrale Rolle bei der Entwicklung und Regeneration von Nervenzellen spielen. Sie fördern nicht nur das Wachstum und Überleben der Nervenzellen, sie ermöglichen es Nervenzellen auch, sich zielgerichtet zu verbinden. Die Arbeiten von Hans Thoenen haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Bedeutung der Wachstumsfaktoren für die Plastizität des Nervensystems erkannt wurde - ohne diese Fähigkeit sich ständig neu zu verbinden, wären Lernen und Gedächtnisbildung unmöglich. Früh integrierte Hans Thoenen die neuen Technologien der Molekularbiologie in seine Forschung und manipulierte einzelne Gene um genetische Daten für physiologische Funktionen zu erhalten. Ein großer Durchbruch gelang Hans Thoenen und seinem Team mit der Klonierung und Analyse der Wachstumsfaktoren BDNF (brain derived neurotrophic factor) und CNTF (ciliary neurotrophic factor). Die Identifizierung dieser Faktoren führte zu einer regelrechten Explosion der Forschung auf diesem Gebiet.
Aufbauend auf die von Hans Thoenen angestoßene Forschung zu Wachstumsfaktoren entstand die Vision, dass Wachstumsfaktoren eines Tages zur Therapie von Gehirnverletzungen und der altersbedingten Degeneration von Nervenzellen, wie zum Beispiel der Demenz, entwickelt werden. Obwohl der Weg zu diesem Ziel steinig ist, arbeitet die Biotechnologie-Branche nach wie vor mit Hochdruck auf diesem Gebiet.
Hans Thoenen war ein Freigeist und Querdenker. Aufgewachsen in den Schweizer Alpen, inspirierte ihn die Natur ebenso sehr wie Diskussionen mit seinen Kollegen. Für viele junge Forscher war er ein bedeutender Mentor. In seiner Großzügigkeit, seiner Kompetenz als Neurobiologe, seiner Begeisterungsfähigkeit für neue Ideen, und seiner Fähigkeit, glücklich zu sein und auch andere zu inspirieren, war Hans Thoenen ein besonderer Mensch. Zu ihm gehörte auch seine Familie und insbesondere seine Frau Sonja. Viele seiner Mitarbeiter und Kollegen haben sie als warmherzige, humorvolle Frau kennengelernt, die sowohl Hans gelegentlich liebevoll zurecht wies, als auch – auf ihre Art – unzähligen seiner Mitarbeiter half, die Durststrecken eines Wissenschaftlerlebens zu überwinden. Insbesondere für ausländische Mitarbeiter und deren Partner war sie eine enorm wichtige Stütze; mit vielen korrespondiert sie heute noch.
Wir danken Hans für die Zeit, die wir mit ihm verbringen durften. In unseren Gefühlen und Gedanken wird er weiterleben und ein Vorbild sein.
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Hans Thoenen studierte Medizin an den Universitäten Bern und Innsbruck und arbeitete im Anschluss an verschiedenen Instituten in Bern, Basel und Gent. 1971 wurde Hans Thoenen Leiter der Neurobiologischen Forschungsgruppe am neu gegründeten Biozentrum in Basel. 1977 kam er als Direktor an das MPI für Psychiatrie, dem späteren MPI für Neurobiologie. Seit 1996 war er Emeritiertes Wissenschaftliches Mitglied des Instituts.
Die hohe Qualität seiner wissenschaftlichen Arbeiten belegt eine Vielzahl an Auszeichnungen, von denen hier nur einige genannt seien: Feldberg Preis, Cloetta Preis, Charles A. Dana Award, Ralph B. Gerard Preis, Bristol-Myers Squibb Award und die Ernst-Jung Medaille in Gold für sein Lebenswerk. Er war Mitglied in verschiedenen nationalen und internationalen Akademien, so auch als einer der wenigen deutschen Wissenschaftler als Foreign Associate der National Academy of Sciences, USA. Hans Thoenen erhielt die Ehrendoktorwürden der Universitäten Würzburg und Zürich.