Bewegungsmuster locken Artgenossen
Forschungsbericht (importiert) 2019 - Max-Planck-Institut für Neurobiologie
Ein Blick oder eine Geste reichen häufig, um die Intention eines Nachbarn einzuschätzen und das eigene Verhalten daran anzupassen. Mittels einer virtuellen Umgebung für junge Zebrafische ist es uns gelungen, einzelne Tiere zum Schwarmverhalten mit simulierten Artgenossen zu animieren. Unsere Ergebnisse geben Einblicke in die Mechanismen der Wahrnehmung von Signalen, die soziales Verhalten auslösen.
Einleitung
Wenn Vogel- oder auch Fischschwärme ihr anmutiges Ballett aufführen, scheint es fast unglaublich, dass die vielen Tiere nicht zusammenstoßen. Ein paar grundlegende Regeln sind mittlerweile bekannt, die diesen entgegenwirken: "Ausweichen, wenn der Nachbar zu nahe kommt" oder "Annähern, wenn der Nachbar zu weit entfernt ist" [1]. An welchen Merkmalen Tiere solch einen Nachbarn jedoch überhaupt als Artgenossen erkennen, ist weitgehend ungeklärt.
Form, Farbe, Gerüche, Laute und eine ganze Reihe anderer Faktoren könnten eine Rolle spielen. Lange gingen Biologen auch von einer Kombination verschiedener Merkmale aus, die ein "holistisches Bild" eines Artgenossen zeichnen. Zudem reagieren Tiere im Schwarm stets gegenseitig aufeinander. Daher ist es kaum möglich, im Nachhinein zu bestimmen, mit welchem Reiz ein bestimmtes Verhalten im Schwarm begonnen hat.
In unserem Institut ist der Zebrafisch (Danio rerio) als Modellsystem für diese Fragen etabliert. Schon im Alter von zehn bis 20 Tagen beginnen die jungen Fische mit Artgenossen Schwärme zu bilden [2]. Der Vorteil am Zebrafisch-Modellsystem ist, dass ihre kleinen, durchsichtigen Gehirne auch den optischen und genetischen Zugang ermöglichen. So kann die neuronale Grundlage des Schwarmverhaltens untersucht werden.
Eine Virtuelle Welt für Zebrafische
Um zu untersuchen, anhand welcher optischen Reize die Fische ihr Verhalten koordinieren, bauten wir ihnen eine virtuelle Umgebung (Abb. 1; [3]). In diesem Versuchsaufbau können zwei voneinander getrennte, freischwimmende Fische über eine Echtzeit-Projektion miteinander interagieren, ähnlich wie bei einer Konferenzschaltung. Überraschenderweise reichte ein einfacher schwarzer Punkt, um innerhalb weniger Sekunden das Interesse der Fische zu wecken – aber nur, solange der Punkt durch die Bewegungen des Partners gesteuert wurde. Das systematische Testen einer Vielzahl möglicher, "digitalisierter" Schwarmpartner zeigte, welche Bewegungsmuster die Fische attraktiv finden und welche sie kalt lassen. Durch diese Herangehensweise konnten wir das Schwarmverhalten, das sich normalerweise zwischen vielen Tieren entwickelt, am Individuum erforschen.
Gleich und Gleich gesellt sich gern
Im Laufe der Versuche zeigte sich, dass der optische Auslöser für das Schwarmverhalten junger Zebrafische deutlich einfacher ist als bisher gedacht: Bewegt sich ein Punkt wie ein Zebrafisch, also mit abwechselnden Schwimmbewegungen und Pausen, sind andere Eigenschaften wie Form oder Farbe überflüssig. Die jungen Fische folgten solch einem Punkt unermüdlich über Stunden – egal, ob der Punkt auf die Bewegungen der Fische "reagierte" oder sich davon unabhängig bewegte.
Mit Hilfe der animierten Punkte konnten wir auch subtile, altersspezifische Schwarmpräferenzen nachstellen. In freier Natur schließen sich häufig Fische gleichen Alters zusammen [4]. In der virtuellen Schwarmumgebung bevorzugten junge Fische Punkte, die seltener und langsamer schwammen. Ältere Fische verfolgten dagegen eher Punkte, die häufiger und schneller schwammen - Präferenzen, die den eigenen Bewegungsmustern der Fische entsprechen. Wie genau die Fische ihre eigenen Bewegungen mit denen ihrer Artgenossen vergleichen, ist noch völlig unklar und Gegenstand zukünftiger Forschung.
Ausblick
Erstmals konnten wir einen einfachen optischen Reiz entdecken, der ein soziales Verhalten auslöst. Ideale Voraussetzungen also, um die darunterliegenden neuronalen und genetischen Mechanismen zu entschlüsseln. Solche Studien könnten auch für menschliche psychiatrische Erkrankungen interessante Basisdaten liefern. Denn das Erkennen von sozialen Signalen ist eine überlebenswichtige Leistung des Gehirns. Ein Defizit in diesen Prozessen spielt nicht zuletzt bei Erkrankungen wie Autismus oder Schizophrenie eine kritische Rolle, über die wir bislang sehr wenig wissen.