Unter Nervenzellen gilt: Gleich und Gleich gesellt sich gern
Auch in der Sehrinde von Mäusen schließen sich Nervenzellen mit gleicher Funktion in Säulen zusammen
Seit über 50 Jahren ist bekannt, dass in der Großhirnrinde vieler Säugetiere funktionsgleiche Nervenzellen in Säulen gebündelt sind. Nun konnten Forscher des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz diese Strukturen erstmals in der Sehrinde von Mäusen nachweisen: Dort bilden Nervenzellen, die Reize desselben Auges verarbeiten, Cluster. Dies erweitert unser allgemeines Verständnis der strukturellen Organisation des Gehirns – und kann helfen, das bisher ungelöste Rätsel über die Funktion dieser Säulen zu lüften.

Bewegung, Farbe, Licht und Schatten: Alles, was wir sehen, ist das Ergebnis komplexer Berechnungen in unserem Gehirn – genauer gesagt in der Sehrinde, dem visuellen Kortex. Hier werden die Reize, die auf unsere Netzhaut treffen, in ihre Einzelteile zerlegt, verarbeitet und zu dem zusammengefügt, was wir letztendlich wahrnehmen. Die dafür zuständigen Nervenzellen erfüllen jeweils unterschiedliche Aufgaben: Manche verarbeiten zum Beispiel hauptsächlich Bewegungen, andere Linien oder Farben.
Bereits in den 1960er Jahren stellten David Hubel und Torsten Wiesel fest, dass im visuellen Kortex Nervenzellen mit gleicher Funktion in Säulen angeordnet sind. Im Jahr 1981 erhielten sie unter anderem dafür den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Die so genannten kortikalen Säulen gelten als elementare Bausteine in der Großhirnrinde vieler Säugetiere – auch des Menschen. Bei vielen kleineren Tieren, wie zum Beispiel der Maus, konnten solche Strukturen jedoch noch nicht im visuellen Kortex nachgewiesen werden. Daher wurde bisher angenommen, dass die Nervenzellsäulen Säugetieren mit komplexeren Gehirnen mit besonders gutem Sehvermögen vorbehalten sind.
Ein Team um Mark Hübener und Tobias Bonhoeffer zeigt nun erstmals, dass auch in der Sehrinde von Mäusen Nervenzellen in Säulen angeordnet sind. Mit Hilfe der sogenannten 2-Photonen-Mikroskopie entdeckten sie im visuellen Kortex Cluster von Nervenzellen, die Informationen desselben Auges verarbeiten. Diese räumliche Nachbarschaft war am deutlichsten in den mittleren Schichten der Sehrinde ausgeprägt, setzte sich aber auch in den darüber und darunter liegenden Schichten fort – und bildet so Augendominanzsäulen, wie es im Fachjargon heißt.
Obwohl die Säulenorganisation der Großhirnrinde nun schon seit über 50 Jahren bekannt ist, wird über die Funktion der Säulen noch immer spekuliert. „Eine mögliche Erklärung für die kortikalen Säulen lässt sich mit der Tribüne im Fußballstadion veranschaulichen“, sagt Pieter Goltstein, der Erstautor der Studie. „Wenn alle Fans einer Mannschaft zusammensitzen und ihr Team gleichzeitig anfeuern, hat das viel mehr Kraft, als wenn die Fans über das ganze Stadion verteilt sind. Möglicherweise können auch Nervenzellen mit gleicher Funktion im Verbund effizienter und zielgerichteter arbeiten.“
Die neue Studie erweitert somit nicht nur unser allgemeines Verständnis über die Organisation des Gehirns. Sie ermöglicht es nun auch die Funktion der Säulenstruktur am Modellorganismus Maus im Detail zu untersuchen – und schlussendlich vielleicht auch zu verstehen.