Schlummern zwischen Himmel und Erde
Ein Team um Niels Rattenborg vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen hat erstmals nachgewiesen, dass Vögel im Schlafmodus fliegen können.
Beim Autofahren kann schon ein kurzer Anfall von Schläfrigkeit fatale Folgen haben. Fregattvögel schlummern dagegen problemlos in der Luft, ohne abzustürzen. Während ihrer tagelangen Flüge über dem offenen Ozean kommen sie insgesamt aber mit extrem wenig Schlaf aus. Ein Team um Niels Rattenborg vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen hat erstmals nachgewiesen, dass Vögel im Schlafmodus fliegen können.
Text: Elke Maier
Die Pfuhlschnepfe zählt zu den Rekordhaltern der Vogelwelt. Sie ist nicht so groß wie ein Strauß, nicht so schnell wie ein Wanderfalke und auch nicht so laut wie der südamerikanische Fettschwalm. Stattdessen hält sie den Streckenrekord im Nonstop-Flug: Mehr als 11.000 Kilometer legt sie von ihrem Brutplatz in Alaska bis nach Neuseeland zurück. Dabei schafft sie die ganze Strecke ohne Zwischenlandung in acht Tagen. Sie machen also keine Pausen, um ihre Muskulatur zu regenerieren oder um zu ruhen.
So beeindruckend das auch ist, die Spitzenreiter im Dauerflug sind die Schnepfen damit noch lange nicht: Fregattvögel bleiben über zwei Monate ununterbrochen in der Luft, und Alpensegler können möglicherweise sogar 200 Tage am Stück fliegen ohne zu landen. Aber wie schaffen diese Tiere das so ganz ohne Schlaf?
Niels Rattenborg ist Leiter der Forschungsgruppe „Vogelschlaf“ am Seewiesener Max-Planck-Institut für Ornithologie südlich von München. Mit seinem Thema befasst sich der Amerikaner mit dänischen Wurzeln seit gut zwei Jahrzehnten. „Vögel haben mich schon als Kind fasziniert“, erzählt er. Dass dann noch der Schlafaspekt hinzukam, verdankt Rattenborg einem Ferienjob: „Nach dem College habe ich im Sommer und über Weihnachten in einem Schlaflabor gearbeitet. Später war ich dort zehn Jahre lang Techniker.“
Es traf sich ausgezeichnet, dass sich die Ornithologie und Schlaf so gut verbinden ließen. Rattenborg studierte Biologie, promovierte über das Schlafverhalten von Stockenten und nahm eine Wissenschaftlerstelle in Wisconsin an. Seit 2005 forscht er in Seewiesen. Nun haben Rattenborg und sein Kollege Bryson Voirin den Beweis geliefert, dass Vögel tatsächlich beim Fliegen schlafen.
Ob Wurm oder Fliege - Schlafen muss jeder
Die Frage, warum Lebewesen schlafen müssen, beschäftigt Generationen von Wissenschaftlern. Ob Fadenwürmer, Fruchtfliegen, Fische oder Elefanten – ohne Schlaf kommt auf Dauer keiner aus. Warum das so ist, weiß bislang niemand. Ein Erklärungsversuch ist in Fachkreisen als „Synaptische-Homöostase-Hypothese“ bekannt. Demnach ist Schlaf dazu da, um den Kopf frei zu bekommen: Im Wachzustand prasseln zahllose Informationen auf uns ein und müssen verarbeitet werden. Dazu werden im Gehirn ständig neue Synapsen gebildet, bestehende Verbindungen werden ausgebaut. „Irgendwann hätten wir den Kopf so voll, dass wir nichts Neues mehr aufnehmen könnten“, sagt Niels Rattenborg. Damit das nicht passiert, werden im Schlaf überzählige Verbindungen wieder gelöscht. Das schafft neue Kapazitäten.
Für diese Hypothese spricht, dass jene Gehirnregionen, die tagsüber sehr aktiv waren, nachts besonders tief schlafen. Niels Rattenborg und seine Kollegen hatten dies an Tauben beobachtet, denen sie David Attenboroughs Film über „Das Leben der Vögel“ vorspielten, während sie sie wachhielten. Bei der Filmvorführung wurde jeweils ein Auge mit einer Klappe bedeckt. In der darauffolgenden Nacht schlief jene Gehirnregion, die für das sehende Auge zuständig war, tiefer als diejenige mit Verbindung zum zuvor bedeckten Auge.
Warum aber ist das Schlafbedürfnis quer durchs Tierreich so unterschiedlich? Wie kann es sein, dass Igel und Fledermäuse bis zu 20 Stunden pro Tag schlummern, während Giraffen mit nur zwei Stunden auskommen? Und was ist mit Zugvögeln, die keine Möglichkeit zur Zwischenlandung haben, etwa weil sie über dem offenen Ozean fliegen? Schlafen sie in der Luft? Verzichten sie zeitweise auf Schlaf? Oder schläft ihr Gehirn womöglich auf Raten?
Schon während seiner Doktorarbeit an Stockenten hatte Rattenborg ein faszinierendes Phänomen beobachtet: In einer Gruppe von schlafenden Enten halten diejenigen, die am Rand sitzen, das nach außen gerichtete Auge offen und die dazugehörige Gehirnhälfte wach. So können die Vögel einen Teil des Gehirns ausruhen und haben gleichzeitig potenzielle Feinde im Blick. Dieser sogenannte unihemisphärische Schlaf, bei dem immer nur eine Gehirnhälfte schläft, während die andere wach bleibt, ist außer von Vögeln etwa auch von Delfinen, Robben und Seekühen bekannt.
Andere Vogelarten, wie die nordamerikanische Dachsammer, brauchen dagegen zu bestimmten Zeiten weit weniger Schlaf als sonst. Während ihre Artgenossen in freier Natur in ihre Winterquartiere ziehen, hüpfen Dachsammern in Gefangenschaft rastlos im Käfig herum und schlagen mit den Flügeln. Wie Rattenborg und seine Mitarbeiter herausgefunden haben, schlafen die Vögel während dieser sogenannten Zugunruhe nur ein Drittel so lange wie sonst. Erstaunlicherweise scheint der Schlafentzug sie aber nicht zu beeinträchtigen: Bei Lern- und Gedächtnisaufgaben schneiden sie unverändert gut ab.
Erfolgreich ist, wer am wenigsten schläft
Der arktische Graubruststrandläufer kommt mit wenig Schlaf ebenfalls bestens zurecht. Rattenborg hat zusammen mit einem Forscherteam aus Seewiesen beobachtet, dass sich die Männchen während der dreiwöchigen Balzzeit kaum Ruhe gönnen. Stattdessen stecken sie all ihre Energie in Scharmützel mit anderen Männchen und in Werbung um die Weibchen. Dass sie mit dieser Strategie gut fahren, bewiesen Vaterschaftsanalysen: Jene Männchen, die am wenigsten schliefen, hatten auch die meisten Nachkommen. „Die sexuelle Selektion fördert also bei den Graubruststrandläufern eine kurze Schlafdauer“, sagt Rattenborg.
Um herauszufinden, wie fliegende Vögel mit dem Schlafbedürfnis umgehen, haben sich Niels Rattenborg und seine Kollegen mit dem Neurophysiologen Alexei Vyssotski zusammengetan. Vyssotski entwickelt in Zürich kleine Messgeräte, die so leicht sind, dass Vögel sie auch im Flug tragen können. Die Geräte zeichnen Kopfhaltung und Flügelschlag auf und messen gleichzeitig die Hirnaktivität. Dazu kleben die Forscher Sensoren für die Spannungsschwankungen, die vom Gehirn erzeugt werden, auf den Kopf der Tiere. Im Wachzustand und in den unterschiedlichen Schlafphasen ermitteln diese die elektrischen Aktivitäten von Millionen Nervenzellen und stellen daraus charakteristische Kurven in einem Elektroenzephalogramm (EEG) dar. Die Wissenschaftler hatten damit erstmals die Möglichkeit, das Wach- und Schlafverhalten fliegender Vögel zu untersuchen.
Als Studienobjekt wählten sie den Bindenfregattvogel (Fregata minor). Mit einem Gewicht von bis zu anderthalb Kilogramm und einer Flügelspannweite von mehr als zwei Metern ist er unter den Seevögeln einer der größten. Das Messgerät inklusive Batterien wiegt dagegen nur zwölf Gramm und stellt beim Fliegen kaum eine Belastung dar.
Fregattvögel verbringen einen Großteil ihrer Zeit in der Luft und sind an diesen Lebensstil perfekt angepasst. Meistens segeln sie ohne Flügelschlag über den Ozean und halten Ausschau nach Fliegenden Fischen und Kalmaren, die von Delfinen oder Raubfischen an die Wasseroberfläche getrieben werden.
Im Wasser dagegen sind die Flugkünstler ziemlich unbeholfen. „Ihr Gefieder ist nicht wasserabweisend und saugt sich voll. Außerdem haben sie sehr kleine Füße, die zum Schwimmen nicht taugen“, sagt Rattenborg. Fregattvögel sind deshalb darauf angewiesen, ihre Beute aus der Luft zu fangen. Bei ihren ausgedehnten Jagdausflügen können sie sich auch nicht auf dem Wasser ausruhen, wie etwa Albatrosse das tun.
Rattenborg und Voirin arbeiteten für die Erforschung der Fregattvögel mit Sebastian Cruz zusammen, einem Seevogelexperten aus Ecuador. Gemeinsam schlugen sie ihr Lager auf Genovesa auf, einer kleinen, unbewohnten Insel des Galapagos-Archipels. Dort kampierten sie direkt neben einer Fregattvogel-Kolonie. „Wir hatten ein Küchenzelt sowie ein Laborzelt als Arbeitsplatz, geschlafen wurde in Hängematten unter freiem Himmel“, erzählt Voirin.
Die Weibchen sind die besseren Probanden
Im Dienste der Schlafforschung verzichteten die Wissenschaftler ihrerseits auf Schlaf: Zunächst machten sie tagsüber die Nester ausfindig und kehrten dann nachts zurück, um die Vögel zu fangen. Auf diese Weise reduzierten sie die Störungen auf ein Minimum. Da die Tiere ihre Nester auf Büschen in maximal zweieinhalb Metern Höhe bauen, blieben den Forschern zumindest nächtliche Kletterpartien erspart. Da die Vögel auf Galapagos keine natürlichen Feinde haben, sind sie zudem Menschen gegenüber nicht scheu und daher leicht einzufangen.
Für ihre Studie wählten die Forscher weibliche Tiere aus. „Weil sie noch größer sind als die Männchen, ist es für sie leichter, die Geräte zu tragen“, sagt Niels Rattenborg. „Außerdem konnten wir bei ihnen im Gegensatz zu den störungsempfindlicheren Männchen sicher sein, dass die Weibchen immer wieder zu ihren Küken zurückkehren.“ Bei Fregattvögeln beteiligen sich normalerweise beide Partner an der Jungenaufzucht. Während ein Elternteil auf Nahrungssuche ist, schützt der andere das Nest vor Artgenossen, die sich nur zu gerne über unbeaufsichtigte Jungtiere hermachen.
Um die Vogelweibchen mit den mobilen Messgeräten auszustatten, wurden sie kurz betäubt und ins Laborzelt gebracht. Rund eine halbe Stunde dauerte es, bis die Apparate mithilfe von Spezialkleber und Klebeband an Kopf und Rücken der Vögel befestigt waren. Zusätzlich zu den Geräten zur Messung der Gehirnaktivität, Kopfhaltung und Flügelschläge brachten die Forscher auch GPS-Logger an, die den Standort und die Flughöhe festhielten. Derart ausgestattet brachten die Forscher ihre gefiederten Probanden zurück in ihre Nester.
Nun hieß es abwarten, bis die Fregattvögel zur Jagd aufbrachen. „Nachdem sie ausgeflogen waren, haben wir die Nester regelmäßig kontrolliert, um ihre Ankunft nicht zu verpassen“, sagt Voirin. Glücklicherweise lief alles nach Plan: Nach spätestens zehn Tagen waren die Vögel wieder zurück. Wie sich später herausstellte, hatten sie währenddessen bis zu 3000 Kilometer zurückgelegt.
Als nächstes mussten die Wissenschaftler sie erneut einfangen, um an die Daten zu gelangen. Am Computer konnten die Forscher die Datenspeicher gleich vor Ort auslesen. Insgesamt hatten sie Daten von 14 Vögeln. Fünf davon waren so lange unterwegs gewesen, dass die Speicherkapazität der Geräte noch während des Flugs erschöpft war. Bei neun Tieren zeichneten die Apparate auch dann noch auf, als sie wieder auf ihren Nestern saßen. So konnten die Biologen das Schlafverhalten in der Luft und an Land vergleichen.
Zurück in Seewiesen betrachtet Rattenborg die aufgezeichneten EEG Kurven. „Im Wachzustand sind die Ausschläge klein, dafür schwingen sie mit hoher Frequenz“, erklärt der Max-Planck Forscher. Das Muster rührt daher, dass die Nervenzellen im Gehirn unsynchronisiert elektrische Signale abfeuern. Andere Kurven stammen aus dem Tiefschlaf und weisen stärkere Ausschläge und niedrigere Schwingungsfrequenzen auf. In diesem Zustand synchronisieren sich die Nervenzellen und sind abwechselnd gemeinsam aktiv und inaktiv. So entstehen langsam schwingende Gehirnwellen. Der Tiefschlaf wird daher auch als SW-Schlaf bezeichnet (slow-wave-sleep).
Powernapping sorgt für neue Energie
Die EEGs während des Fluges zeigen einen solchen langsamwelligen Schlaf. Das war der Beweis: Fregattvögel schlafen beim Fliegen, und das erstaunlicherweise nicht nur mit einer Gehirnhälfte, sondern manchmal sogar mit beiden gleichzeitig. „Aber obwohl sie mit beiden Hirnhälften schlafen können, schläft meistens nur eine Seite, und zwar diejenige, die mit dem in Flugrichtung blickenden Auge verbunden ist. So vermeiden die Vögel vermutlich Kollisionen mit Artgenossen, die in derselben Luftströmung segeln.“
Meistens schlummern die Tiere am frühen Abend, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, wenn sie in ausreichender Höhe und aufsteigender Thermik fliegen. Das schützt vor Abstürzen. „Der kurze Schlaf am Abend ist wahrscheinlich so eine Art Powernap: Er könnte gerade so ausreichen, um das Schlafdefizit während des Tages auszuhalten.“ Tagsüber sind die Vögel hellwach und verwenden ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Nahrungssuche.
Neben dem langsamwelligen Schlaf registrierten die Messgeräte hin und wieder auch kurze Episoden von sogenanntem REM-Schlaf (rapid eye movement). Typisch für den REM-Schlaf sind EEG-Kurven mit niedrigen Ausschlägen und hohen Frequenzen, so wie sie auch bei wachen Vögeln auftreten. REM-Schlaf findet immer in beiden Gehirnhälften statt und kommt außer bei Vögeln auch bei Säugetieren einschließlich des Menschen vor. Bei Säugern dauern REM-Phasen bis zu einer Stunde. Währenddessen geht die Muskelspannung komplett verloren, und der Körper erschlafft. Vögel verbringen dagegen immer nur einige Sekunden im REM-Schlaf. Zwar lässt auch bei ihnen der Muskeltonus nach, sie können aber trotzdem noch stehen oder fliegen.
Welche Funktion der REM-Schlaf hat, ist bis heute ein Rätsel. Forscher gehen aber davon aus, dass er für die normale Entwicklung des Gehirns wichtig ist. Dafür spricht, dass die meisten Säugetierjungen mehr Zeit im REM-Schlaf zubringen als erwachsene Tiere. Bei neugeborenen Babys macht er die Hälfte der gesamten Schlafzeit aus, bei Erwachsenen nur noch ein Viertel. Bei Vögeln haben Niels Rattenborg und sein Team ein ganz ähnliches Muster gefunden. In einer Studie an jungen Schleiereulen stellten sie fest, dass sich auch bei Eulenküken der Anteil des REM-Schlafs mit dem Älterwerden verringert.
Bei fliegenden Fregattvögeln treten also sowohl SW- als auch REM-Schlaf auf. Um sich in der Luft zu halten, ist es scheinbar nicht nötig, einen Teil des Gehirns wachzuhalten. Trotzdem gönnen sich die Vögel beim Fliegen kaum Schlaf: Innerhalb von 24 Stunden schliefen sie im Schnitt gerade einmal 42 Minuten, davon im Schnitt jeweils lediglich zwölf Sekunden am Stück. Der längste ununterbrochene Schlaf dauerte knapp sechs Minuten. An Land schlummerten die Tiere dagegen mehr als zwölf Stunden. Dabei waren die Schlafphasen nicht nur länger (52 Sekunden), sondern auch tiefer. Anscheinend holen die Tiere versäumten Schlaf nach, so wie auch wir Menschen.
In einer früheren Studie hatten die Seewiesener Forscher gezeigt, dass Tauben ein Schlafdefizit auf ähnliche Weise kompensieren: Hielten die Wissenschaftler ihre Probanden von deren üblichen Mittagsschläfchen ab, so schliefen sie in der darauffolgenden Nacht intensiver. Im Gegensatz zu den Fregattvögeln wurden die Tauben schnell müde, wenn sie nur ein paar Stunden wach gehalten wurden. „Wir mussten sie eigentlich permanent sanft daran erinnern, wach zu bleiben.“
Gesucht: Ein Wundermittel gegen Müdigkeit
Warum aber ruhen Fregattvögel in der Luft nicht länger, wenn das doch anscheinend problemlos möglich ist? „Eine frühere Studie hat gezeigt, dass sie günstigen Meeresströmungen folgen, um ergiebige Nahrungsquellen ausfindig zu machen“, sagt Rattenborg. „Möglicherweise bleiben sie auch nachts wach, um die Wasseroberfläche zu beobachten und morgens zum Fressen gleich an der richtigen Stelle zu sein.“ Das erfordert offensichtlich die volle Aufmerksamkeit beider Gehirnhälften, sonst würden die Vögel wahrscheinlich mehr schlafen.
Wie die Fregattvögel die negativen Effekte des Schlafmangels kompensieren, ist bislang ein Rätsel. Auch haben die Wissenschaftler noch keine Antwort parat, warum es für uns Menschen so gut wie unmöglich ist, das Schlafbedürfnis zu unterdrücken. „Auch Tauben werden wie der Mensch müde, die Fregattvögel dagegen machen einfach weiter!“ Dass Menschen und Vögel voneinander unabhängig ganz ähnliche Schlafmuster entwickelt haben, lässt aber hoffen, aus den Erkenntnissen der Vogelschlafforschung auch etwas über den menschlichen Schlaf zu lernen.
Für sein Dachsammer-Projekt hatte Rattenborg sogar ein Stipendium vom US-Militär bekommen. Das vom Geldgeber insgeheim wohl erhoffte Wundermittel, um die Soldaten gegen Müdigkeit zu wappnen, kam dabei allerdings nicht heraus. „Von so einer Substanz würden auch andere Berufsgruppen profitieren, zum Beispiel Rettungskräfte nach einer Naturkatastrophe“, sagt Rattenborg. Wäre es nicht auch für ihn als Wissenschaftler verlockend, weniger schlafen zu müssen und mehr forschen zu können? „Warum nicht“, sagt er und lacht.
In jedem Fall hat seine Forschung bereits indirekt zu neuen Erkenntnissen über den menschlichen Schlaf geführt. Inspiriert von seiner Forschung mit den Enten haben Wissenschaftler kürzlich herausgefunden, dass Menschen eine Hirnhälfte teilweise wach halten, wenn sie in einer ungewohnten Umgebung schlafen – so wie die Enten, die am Rande der Gruppe sitzen, das nach außen gerichtete Auge offenhalten. „Aus dem Schlafverhalten der Fregattvögel können wir deshalb künftig sicher auch etwas über unseren eigenen Schlaf lernen.“
Als nächstes möchte Rattenborg Pfuhlschnepfen mit mobilen Messgeräten ausstatten und ihre Reise von Alaska nach Neuseeland begleiten. „Anders als Fregattvögel schlagen sie aktiv mit den Flügeln“, sagt der Max-Planck Forscher. Ob auch sie dabei schlafen? Um das herauszufinden, müssen die Forscher zunächst noch kleinere und leichtere Geräte entwickeln, denn Pfuhlschnepfen sind deutlich kleiner Fregattvögel.
AUF DEN PUNKT GEBRACHT
- Fregattvögel können während des Fluges schlafen. Dabei schlummert gewöhnlich nur eine Hirnhälfte, manchmal auch beide.
- In der Luft schlafen die Vögel nur etwa 42 Minuten pro Tag. Im Schnitt ist jede Schlafphase gerade Mal zwölf Sekunden lang. Ihr Gehirn kann beim Fliegen in Tief- und REM-Schlaf fallen.
- Während bei Säugetieren die Muskulatur im REM-Schlaf völlig erschlafft, können Vögel selbst dann noch in der Luft segeln.
GLOSSAR
SW-Schlaf: Der sogenannte „slow wave sleep“ oder langsamwellige Schlaf ist die Schlafphase mit der höchsten Weckschwelle, deshalb auch der umgangssprachliche Begriff Tiefschlaf. Typisch für den SW-Schlaf sind sogenannte Delta-Wellen („slow waves“) mit einer Frequenz von weniger als vier Schwingungen pro Sekunde. Diese Wellen breiten sich nach und nach über das gesamte Gehirn aus. Es befinden sich also nicht alle Gehirnareale gleichzeitig im Tiefschlaf. Die Aktivitätswellen spielen wahrscheinlich bei der Verarbeitung von Informationen eine Rolle, die das Gehirn im Wachzustand aufgenommen hat.
REM-Schlaf: Schnell schwingende, dem Wachzustand vergleichbare Hirnaktivität. Für den REM-Schlaf typisch sind schnelle Augenbewegungen und eine verringerte Muskelspannung. Die Weckschwelle liegt ebenfalls sehr hoch, beim Menschen laufen die meisten Träume in dieser Phase ab. Die meisten Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass der REM-Schlaf sehr spät in der Evolution entstanden ist und ihn nur Säugetiere und Vögel besitzen. Seit kurzem gibt es Hinweise darauf, dass auch manche Reptilien in REM-Schlaf fallen könnten.