Kooperation fördert Kommunikation
Singvögel, die bei der Jungenaufzucht zusammenarbeiten, koordinieren ihre Aufmerksamkeit und tauschen sich intensiv miteinander aus
Wer gut mit anderen zusammenarbeiten kann, kann auch ohne hochentwickeltes Gehirn gut kommunizieren. Das zeigen zwei neue Studien von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Ornithologie Seewiesen, des Max-Planck-Instituts für Anthropologie in Leipzig und der Universität Osnabrück an Graudrosslingen. Sie haben entdeckt, dass sich diese Vögel bewusst und zielgerichtet untereinander austauschen und ihre Aufmerksamkeit koordinieren, also „teilen“ können. Diese Merkmale hochentwickelter Kommunikation waren bislang nur beim Menschen bekannt. Die Forscher vermuten, dass die gemeinsame Aufzucht der Jungtiere die Entwicklung der komplexen Kommunikation dieser Vögel gefördert haben könnte.
Beim Menschen basieren Kooperation und Kommunikation darauf, die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners bewusst zu lenken. Diese Fähigkeit entwickelt sich schon in den ersten Lebensjahren. „Mein 18 Monate alter Sohn ruft mich oder winkt mit der Hand, wenn er möchte, dass ich ihm folge. Damit will er meine Aufmerksamkeit erlangen“, sagt Yitzchak Ben Mocha, Erstautor der zwei Studien. „Er bewegt sich in die gewünschte Richtung und dreht sich häufig um, um mein Verhalten zu prüfen. Wenn ich zu faul bin oder unaufmerksam, unterstreicht er seine Bitte und drängt mich erneut mitzukommen.”
Eine solche bewusste und zielgerichtete Koordination der Aufmerksamkeit wurde traditionell als für Menschen einzigartig betrachtet. Einige Wissenschaftler*innen sehen in dieser Fähigkeit sogar „den kleinen Unterschied, der den großen Unterschied ausmacht“ in der Evolution des sozialen Bewusstseins unserer Art. Menschen besitzen zum einen ein außerordentlich komplexes Gehirn. Darüber hinaus helfen sie einander bei der Aufzucht ihres Nachwuchses. Sind dies die Voraussetzungen für die Entwicklung komplexer Kommunikation?
Zusammenarbeit bei der Aufzucht der Jungen
Die Forscher haben diese Frage an Graudrosslingen (Turdoides squamiceps) untersucht, Singvögel aus den Wüstengebieten der Arabischen Halbinsel und des Nahen Ostens. Den Vögeln fehlt das “primatenähnliche“ Gehirn, sie sind aber intensiv auf gegenseitige Hilfe bei der Jungenaufzucht angewiesen. Alle Mitglieder einer Gruppe kooperieren miteinander, um das eigene Überleben und das der Jungtiere zu sichern.
Damit die Forscher ihre Ergebnisse mit Studien an Menschen vergleichen können, hat das multidisziplinäre Team von Ornithologen, Primatologen und Psychologen Methoden angewandt, mit denen der bewusste Austausch und die Aufmerksamkeit von Kindern untersucht wird, die noch nicht sprechen können. “Wir haben in verschiedenen Situationen sowohl eindeutig beabsichtigte als auch zielgerichtete Kommunikation bei den Graudrosslingen beobachtet: Erwachsene Vögel rufen Jungtiere und flattern auffällig mit ihren Flügeln, um sie aufzufordern, ihnen zu folgen. Auch zeigen sie Geschlechtspartnern Objekte und bringen sie so dazu, ihnen zu folgen und sich versteckt vor den anderen heimlich zu paaren”, sagt Ben Mocha. Unterwegs drehen sich die Vögel immer wieder um und überprüfen die Reaktionen des Partners. Wenn diese ihnen nicht mehr folgen, fordern sie sie aktiv wieder erneut auf.
“Es ist faszinierend, dass ein Vogel mit seinem relativ kleinen Gehirn ähnlich wie ein Mensch die Aufmerksamkeit teilen und koordinieren kann”, sagt Simone Pika, die beide Studien betreut hat. “Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass die Kooperation untereinander solch hochentwickelte soziale und kommunikative Leistungen ermöglicht hat. Um dies sicher sagen zu können, brauchen wir aber noch mehr vergleichende Studien zwischen kooperativ und nicht-kooperativ brütenden Arten.” Möglicherweise hat auch beim Menschen die gemeinsame Fürsorge um die Nachkommen die Entstehung des sozialen Bewusstseins gefördert.