Jede Fledermaus reist anders
Abendsegler fliegen auf individuellen Routen zu ihren Wochenstuben
Die Weibchen mancher Fledermäuse fliegen nach dem Winterschlaf hunderte von Kilometern, um in insektenreichen Regionen ihre Jungen zur Welt zu bringen. Anders als bei Vögeln ist weitgehend unbekannt, wie Fledermäuse den Energieverbrauch während des Fluges niedrig halten. Dina Dechmann und Kollegen vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz haben nun Große Abendsegler mit Luftdrucksensoren ausgestattet und auf ihrem Flug verfolgt. So konnten die Forscher Flugrichtung und -höhe aufzeichnen. Die Daten belegen, dass die Abendsegler zwar eine ähnliche Richtung einschlagen, Flughöhe, Entfernungen und Rastplätze jedoch sehr individuell wählen. Dies lässt vermuten, dass die Fledermäuse Wetter und Landschaft individuell ausnutzen und so ihre Flüge optimieren.
Rund 4.000 verschiedene Wirbeltierarten werden vom Weltregister wandernder Tierarten zu den „echten Wanderern“ gezählt – also zu den Tieren, die regelmäßig längere Distanzen ziehen. Während die Vogelwanderung vergleichsweise gut untersucht ist, gibt es bei anderen Arten wie zum Beispiel den Fledermäusen beträchtliche Wissenslücken.
Von den 45 in Europa vorkommenden Fledermausarten fliegen nur vier weiter als 1000 Kilometer. Dazu gehört der auch in Süddeutschland heimische Großen Abendsegler (Nyctalus noctula). Bei dieser Art ziehen die Weibchen nach dem Winterschlaf in insektenreichere Gebiete im Nordosten und bringen dort ihre Jungen zur Welt. Im Herbst kehren sie zurück, um sich zu paaren und Winterschlaf zu halten.
Unbekannte Flugrouten
In früheren Studien haben Dina Dechmann und ihre Kollegen bereits herausgefunden, dass die Entscheidung zum Abflug vom Zusammenspiel aus Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Luftdruck abhängt. Über die genauen Flugrouten der einzelnen Tiere wussten die Forscher bisher jedoch kaum etwas.
Dem Großen Abendsegler auf seinem Zug in die Sommergebiete zu folgen, ist jedoch gar nicht so einfach. GPS-Sender, die zum Tracking der Tiere eingesetzt werden könnten, brauchen viel Energie während der gesamten Zugzeit. Da diese bei nachtaktiven Tieren nicht über Solarzellen gewonnen werden kann, müssten zusätzlich Akkus auf dem Rücken der Tiere angebracht werden. Diese wären für den nur knapp 30 Gramm leichten Abendsegler jedoch zu schwer. „Wir haben daher eine andere Methode entwickelt, um die Tiere auf ihrer Wanderung zu verfolgen“, sagt Dechmann. Die Forscher haben die Fledermäuse mit kleinen Luftdrucksensoren mit Sendefunktion ausgestattet, die ein Radiosignal aussenden, aus dem die Forscher Flughöhe und Flügelschlagfrequenz der Tiere ermitteln können.
Verfolgungsjagd im Flugzeug
Zur Zugzeit beobachteten die Wissenschaftler das Signal der Fledermäuse abends vom Boden aus. Sobald ein Abendsegler aufbrach, verfolgten die Wissenschaftler das Signal des Senders per Flugzeug. Auf diese Weise konnten die Forscher die Routen von fünf Abendseglern verfolgen und die Höhenprofile von drei Tieren aufzeichnen. Dabei haben die Forscher beobachtetet, dass die Abendsegler zwar in eine ähnliche Richtung flogen, dann allerdings unterschiedlich hoch und unterschiedlich weit: Selbst Fledermäuse, die im gleichen Tagesquartier mit Sendern ausgestattet worden waren, reisten getrennt und wählten verschiedene Rastplätze.
Die Fledermäuse änderten zudem immer wieder überraschend die Flughöhe. Eines der beobachteten Tiere kehrte sogar während des Fluges um und startete in der folgenden Nacht erneut. Die Abendsegler scheinen sich also individuell zu entscheiden, wie sie ihren Flug je nach Windbedingungen und Landschaft optimieren. „Ein und dasselbe Tier kann sich von einer Nacht zur anderen unterschiedlich verhalten“, erzählt Dechmann.
An den Höhendaten können die Forscher ablesen, wie sehr sich die Tiere am Landschaftsprofil orientieren und ob sie so zum Beispiel Aufwinde nutzen können. Wenn sie dagegen wie viele Zugvögel dauerhaft in einer bestimmten Höhe unterwegs sind, hätte dies wichtige Auswirkungen auf den Energieverbrauch während des Zugs. „Um diese Frage beantworten zu können, brauchen wir noch mehr Daten“, so Dechmann.
Große Abendsegler verspeisen auf ihren Flügen jede Nacht eine Vielzahl von Insekten wie Käfern und Nachtfaltern, darunter auch Schädlinge. Die Tiere spielen also eine wichtige Rolle im Haushalt der Natur. Viele Tiere stoßen jedoch auf ihrer Reise mit Windkraftanlagen zusammen und sterben. „Wenn wir die Flugrouten und die Flughöhe der Fledermäuse genauer kennen, können wir die Bedrohungen für die Tiere leichter identifizieren und Gegenmaßnahmen einleiten“, sagt Dechmann.
KN/HR