Handeln oder nicht handeln?
Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
Warum entscheiden Sie sich an einem Sonntagmorgen für einen Spaziergang, anstatt lieber im Bett zu bleiben? Das Gehirn befasst sich in solch einem natürlichen Zusammenhang mit einer großen Anzahl möglicher Handlungen. Es muss bei der Auswahl des nächsten Verhaltens ständig sowohl innere Zustände („Wie hungrig oder müde bin ich?“) als auch äußere Reize („Was passiert um mich herum?“) gegeneinander abwägen. Diese Fähigkeit, flexibel zwischen verschiedenen Verhaltensweisen zu wechseln, ist sowohl bei Tieren als auch bei Menschen der Schlüssel zu Überleben und Wohlbefinden.
Im Rahmen zahlreicher Studien am Menschen mittels fMRT (funktioneller Magnetresonanztomographie) wurde eine Gruppe von Hirnregionen identifiziert, die beim Wechsel zwischen Verhaltensweisen eine Rolle spielen könnten: das sogenannte "Salienz-Netzwerk". Darüber hinaus fallen Defizite des Salienz-Netzwerks bei psychiatrischen Erkrankungen auf, die sich auf den Wechsel zwischen Verhaltensweisen auswirken – zum Beispiel bei Depressionen, einer Krankheit, die es erschwert, Handlungen normal zu initiieren [1]. Aus diesen Gründen wäre dieses Netzwerk ein guter Kandidat für einen "Hauptschalter", der den Wechsel zwischen Verhaltensweisen koordiniert. Wie der Verhaltenswechsel von all diesen Hirnregionen gesteuert wird, ist jedoch unbekannt. Das liegt zum Teil daran, dass Hirnschaltkreise im Menschen nur schwer manipuliert werden können.
Im Gegensatz dazu gibt es im Mausmodell sehr gute Werkzeuge, um die Rolle isolierter Hirnregionen bei Verhaltenswechseln zu untersuchen. Zum Beispiel ist es seit Kurzem möglich, die Aktivität von Nervenzellen mit Licht zu steuern, eine Technik, die Optogenetik genannt wird. Die Verbindung dieser Methode mit gleichzeitiger Messung der hirnweiten Aktivität eignet sich besonders gut, um die Funktionen des Gehirns zu untersuchen. Durch die Kombination beider Methoden können somit die hirnweiten Auswirkungen der gesteuerten Aktivitäten beobachtet werden – und das, während Mäuse ein Verhalten ausüben. Das ermöglicht uns grundlegend neue Forschungsansätze.
Unsere Forschungsgruppe „Verhaltenssteuerung im Gehirn“ möchte die Schaltkreise entschlüsseln, die beim Wechsel zwischen Verhaltensweisen in Gesundheit und Krankheit eine Rolle spielen. Dazu verwenden wir eine neue Methode, die funktionelle Ultraschall-Bildgebung. Diese Methode kombinieren wir dann mit präzisen Schaltkreiswerkzeugen, wie der Optogenetik.
Das Gehirn in Aktion filmen
Die funktionelle Ultraschall-Bildgebung (fUS) ist eine relativ neue Methode in den Neurowissenschaften. Die Aktivität des gesamten Gehirns lässt sich dabei mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung erfassen, während die Mäuse ein bestimmtes Verhalten zeigen [2]. Die funktionelle Ultraschall-Bildgebung ist zudem praktisch, da sie mit einem kleinen Ultraschallgerät durchgeführt wird, ähnlich dem Gerät, mit dem Ärzte Babys im Mutterleib anschauen.
Beim funktionellen Ultraschall wird das Blutvolumen in jedem kleinen Teil des Gehirns gemessen. Wenn eine Hirnregion aktiver wird, nimmt das Blutvolumen lokal zu, was mit dem Scanner festgestellt werden kann. Abbildung 1 zeigt die im Gehirn ausgelöste Aktivität, wenn eine Maus visuelle Reize erhält: das visuelle System der Maus leuchtet auf.
Wichtig ist, dass die funktionelle Ultraschall-Bildgebung auch mit der Optogenetik oder neuronalen Ableitungen mit Elektroden kompatibel ist. Daher ist diese Methode besonders geeignet, um umfangreiche Prozesse im Gehirn, wie Verhaltenswechsel, zu untersuchen. Zu diesem Zweck haben die Forschenden der Gruppe vor kurzem ein vollständiges Protokoll zur Durchführung der Methode an Mäusen, die ein bestimmtes Verhalten zeigen, entwickelt. Dieses steht nun der neurowissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung [3].
Auch Mäuse zeigen Forscherdrang
Wie ist es möglich, einen Verhaltenswechsel bei Mäusen zu untersuchen? Mäuse fühlen sich in geschlossenen, begrenzten Räumen - wie einem Nest - wohl und geschützt. Sie verspüren aber spontan und regelmässig den Drang, nach draussen zu gehen und ihre Umgebung zu erkunden. Ein natürliches Verhalten von Mäusen besteht also darin, ihren Kopf aus einem Unterschlupf herauszustrecken.
Dieses natürliche Verhalten kann im Labor nachgeahmt werden: Entsprechend an den Versuchsaufbau gewöhnte Mäuse werden am Kopf fixiert in eine luftgelagerte Röhre gesetzt. So können sie wählen, ob sie geschützt in der Röhre bleiben oder diese nach hinten drücken, um die Umgebung zu erkunden [4]. Obwohl die Tiere 90 Prozent der Zeit in der Röhre verbringen, führen sie innerhalb von zehn Minuten typischerweise eine Handvoll Erkundungen durch (Abb. 2). Diese spontanen Erkundungsvorstöße eignen sich gut, um den Wechsel zwischen natürlichen Verhaltensweisen zu untersuchen.
Wir konnten diesen sogenannten "virtuellen Bau" im Labor etablieren und ihn mit funktioneller Ultraschall-Bildgebung kombinieren. So können wir beobachten, welche Hirnregionen aufleuchten, wenn sich die Mäuse entscheiden, die Röhre zu verlassen. Indem wir die Aktivität dieser Regionen einzeln mit Hilfe der Optogenetik manipulieren, erhoffen wir uns Erkenntnisse darüber, welche Schlüsselknotenpunkte den Erkundungsdrang der Mäuse steuern. Als nächstes plant unser Team, in einem Mausmodell für Depression (diese Mäuse erkunden nicht so oft wie normale Mäuse) vergleichend zu beobachten, welcher Teil des Netzwerks besonders beeinträchtigt ist. So hoffen wir, spezifische Ziele für therapeutische Eingriffe zu finden, die in Zukunft möglicherweise auf den Menschen übertragen werden können.