Gut vernetzt tief im Gehirn
Mithilfe spezialisierter Nervenzellen im visuellen System erkennen Zebrafische ihre Artgenossen
Menschen sind bekanntlich äußerst soziale Tiere. Aber sie sind nicht die einzigen, die sich mit Individuen der eigenen Art zusammenschließen, um ihre Ziele zu erreichen. In der Natur lassen sich häufig Herden, Schwärme, Rudel und Kolonien von Tieren der gleichen Art beobachten. Aber wie erkennt das Gehirn eines Tieres seine Artgenossen? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz, in Gründung, untersuchen diesen Prozess an jungen Zebrafischen. Sie entdeckten nun einen neuronalen Schaltkreis, der soziale Anziehung vermittelt. Eine spezialisierte Nervenbahn, die von der Netzhaut bis tief ins Gehirn führt, ermöglicht es Zebrafischen, Artgenossen zu erkennen und sich ihnen zu nähern.
Menschen und viele Tierarten leben in Gemeinschaften. Als Grundlage für soziale Interaktionen müssen Individuen aber zunächst einmal andere Individuen als zu ihrer eigenen Art zugehörig identifizieren. Dies geschieht in der Regel in Sekundenbruchteilen und oft instinktiv. Die Entschlüsselung der neuronalen Schaltkreise, die diesem Vorgang zugrunde liegen, ist jedoch alles andere als trivial.
„Beim Erforschen von Sozialverhalten gibt es eine grundlegende Schwierigkeit: Aktionen und Reaktionen gehen ineinander über und sind im Verhalten und auf neuronaler Ebene für uns als Betrachter schlecht zu unterscheiden“, erklärt Johannes Larsch, Projektleiter in der Abteilung von Herwig Baier. „Das liegt daran, dass sich die beteiligten Individuen gegenseitig beeinflussen. Sie sind gleichzeitig Empfänger und Sender sozialer Signale. Insbesondere die Rolle des visuellen Systems und der damit verbundenen Gehirnbereiche war bislang experimentell kaum untersuchbar.“
Das Team um Johannes Larsch fand jedoch eine Möglichkeit, die Bedeutung des visuellen Systems für das Sozialverhalten genauer zu erforschen. Sie entwickelten einen Versuchsaufbau, in dem Zebrafischlarven mit simulierten Artgenossen interagieren können. Dazu reicht ein Punkt auf einem Display, der sich – und das ist wichtig – mit dem für Zebrafische typischen, ruckartigen Bewegungsmuster bewegt. Die Tiere können diesem Reiz nicht widerstehen: Sie schwimmen dem Punkt oft stundenlang hinterher, da sie ihn offensichtlich für einen Artgenossen halten. Damit hatten die Forschenden einen isolierten und genau definierten Schlüsselreiz als Auslöser von Schwarmverhalten gefunden.
Nun konnte das Team untersuchen, wie dieser Reiz im Gehirn verarbeitet wird. Dazu erweiterten sie ihren Versuchsaufbau um die Möglichkeit, gleichzeitig Gehirnaktivität zu messen. Die Experimente zeigten, dass ein sich fisch-ähnlich bewegender Punkt im Zebrafischgehirn ganz bestimmte Nervenzellen im Thalamus aktiviert. Derselbe Bereich des Thalamus wird auch aktiv, wenn tatsächlich ein Artgenosse in der Nähe schwimmt. Der Thalamus ist eine Gehirnregion, die auch beim Menschen unter anderem für Sinnesverarbeitung wichtig ist.
„Der Thalamus stellt eine sensorische Schaltzentrale des Gehirns dar, in der Sinneseindrücke zusammenkommen und weitergeleitet werden“, erklärt Johannes Larsch. Sinnesreize werden auf ihrem Weg zum Thalamus zunächst in der Netzhaut und anschließend im Tectum verarbeitet, einem Teil des Mittelhirns und wichtiges visuelles Zentrum des Wirbeltiergehirns. Wenn die Nervensignale im Thalamus ankommen, sind sie bereits nach sozialen Signalen, wie beispielsweise den ruckartigen Bewegungen eines potenziellen Artgenossen, gefiltert worden.
Die von den Forschenden nun identifizierten Nervenzellen in dieser Region verbinden das visuelle System des Zebrafisches mit weiteren Gehirnregionen, die bei sozialem Verhalten aktiv werden. „Wir wussten bereits, dass diese weiteren Gehirnregionen eine Rolle beim Steuern von Sozialverhalten spielen, aber nicht, durch welche visuellen Reize sie aktiviert werden. Unsere Arbeit hat diese Wissenslücke geschlossen und gezeigt, über welche neuronalen Schaltkreise die visuellen Signale in diese Regionen gelangen“, sagt Larsch.
Wie wichtig die neu identifizierten Nervenzellen für das Sozialverhalten der Fische sind, zeigte sich, als die Forscher die Funktion dieser Zellen gezielt blockierten: Die Zebrafischlarven verloren ihr Interesse an Artgenossen – das instinktive Hinterherschwimmen fand kaum noch statt.
„Die von uns untersuchten Nervenzellen erfüllen im Zebrafisch somit die Aufgabe des sozialen Erkennens und leiten eine Annäherung an Artgenossen ein“, sagt Johannes Kappel, Doktorand und Erstautor der Studie. „Menschen besitzen ebenfalls einen Thalamus und viele neuronale Prozesse sind während der Evolution vom Fisch zum Menschen erhalten geblieben. Auch beim Menschen gibt es Gehirnregionen, die aktiviert werden, wenn wir für uns typische Bewegungsmuster wahrnehmen. Ihre genaue Funktionsweise und Bedeutung für die Steuerung unseres Verhaltens sind allerdings noch unbekannt.“
Die Studie von Kappel, Larsch, Baier und ihren Ko-Autoren wirft neues Licht auf einen Teil des Gehirns, dessen Aktivierung den grundlegenden "Klebstoff" für die Bindung zwischen zwei Zebrafische liefert. In der Summe führen viele solcher einzelnen Interaktionen zur Bildung von Fischschwärmen. Soziales Verhalten wird also durch Netzwerke von Gehirnen gesteuert, die ihrerseits Netzwerke von Neuronen sind.
"Neurobiologische Erkenntnisse wie die unseren können vielleicht das Denken über die Selbstorganisation von Tiergesellschaften im Allgemeinen inspirieren und bereichern, welches derzeit die Domäne anderer wissenschaftlicher Disziplinen ist", schlussfolgert Baier.
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