Über digitale Schwarmpartner und neuronale Vernetzungen 

Otto-Hahn-Medaille ehrt Johannes Kappel für herausragende Forschung 

12. Juni 2024

Wie wird ein Punkt zum Artgenossen? Tatsächlich reicht es aus, dass sich ein virtueller Punkt wie ein Fisch bewegt. Andere Fische nehmen das spezifische Bewegungsmuster als Artgenossen wahr und schwimmen dem digitalen Schwarmpartner hinterher. Als Johannes Kappel 2018 für seine Doktorarbeit in die Abteilung von Herwig Baier ans Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz kam, wollte er die neuronalen Grundlagen dieses Prozesses aufdecken. Für seine Entdeckungen wird er nun mit der Otto-Hahn-Medaille ausgezeichnet. Was er rausgefunden hat, was die Medaille für ihn bedeutet, und warum er mit digitalen statt echten Schwarmpartnern geforscht hat, erklärt er in einem Interview. 

Johannes, was hast du durch deine Forschung herausgefunden? 
Gemeinsam mit einem Team an Forschenden konnten wir einen spezifischen Schaltkreis im Gehirn von Zebrafischen identifizieren. Dieser Schaltkreis wandelt wahrgenommene, für Zebrafische typische Bewegungsmuster in eine Verhaltensreaktion von sozialer Anziehung um: Der Fisch folgt seinem Partner. 

Was ist besonders daran? 
Die Schnittstelle zwischen visuellen Reizen und Sozialverhalten ist bisher kaum erforscht. Uns ist es gelungen, hier erstmals einen Schaltkreis zu bestimmen, der von der Netzhaut im Auge über die Tiefen des Gehirnes bis zur Verhaltensreaktion reicht.  Schalten wir diese visuell reizbaren Nervenzellen aus, wird das Sozialverhalten messbar gestört. Das unterstreicht die Bedeutung dieses Schaltkreises für die Erkennung von Artgenossen. 

Gab es einen AHA-Effekt während der Forschung? 
Tatsächlich haben wir es für unwahrscheinlich gehalten, dass ein einzelner Schaltkreis anatomisch lokalisierbar ist, der spezifisch Artgenossen detektiert. Umso größer war die Überraschung, als sich erstmals in meinen Daten andeutete, dass es tatsächlich so sein könnte. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als mir in der ersten Auswertung der Bilddaten das Cluster von Nervenzellen ins Auge sprang. 

Was hat es mit den digitalen Schwarmpartnern auf sich? 
Um einen Artgenossen zu erkennen, könnte eine Vielzahl an Faktoren eine Rolle spielen. Zum Beispiel die Farbe oder Textur der Fische. Aus einer vorherigen Studie unserer Abteilung meines Forschungspartners Johannes Larsch wussten wir, dass das spezifische Bewegungsmuster allein ausreicht, um Artgenossen zu erkennen. Das schließt weitere Merkmale allerdings nicht aus. Mit Hilfe eines virtuellen Punktes war es uns möglich, das Bewegungsmuster als Schlüsselreiz isolieren. Durch diese Begrenzung der Parameter konnten wir ganz gezielt die neuronale Verarbeitung dieses einen Sinneseindruckes untersuchen.  

Schwimmen alle Zebrafische solchen digitalen Artgenossen gleichermaßen hinterher? 
Gute Frage! Nein, und dieses Phänomen wird tatsächlich nun in weiterführenden Studien untersucht: Das Sozialverhalten unterscheidet sich hier sowohl basierend auf vererbbaren Genanlagen, dem Gemütszustand des Fisches, als auch durch den individuellen Charakter der einzelnen Tiere. Das ist allerdings nicht mein Projekt, sondern das meines Forschungspartners Johannes Larsch, der eine Professur an der Universität Lausanne angenommen hat. 

An was forschst du jetzt? 
Ich habe eine Postdoc-Stelle am Friedrich Miescher Institut for Biomedical Research in Basel begonnen und forsche am Navigationssystem von Zebrafischen. Ich möchte zum Beispiel verstehen, wie ein Fisch visuell Objekte erkennt und diese als Landmarken in einer kognitiven Karte im Gehirn verankert.  

Was bedeutet die Auszeichnung mit der Otto-Hahn-Medaille für dich? 
Es ist eine große Ehre und wird mir sicher auch in meiner weiteren wissenschaftlichen Karriere helfen. In erster Linie aber hat es mich gefreut, solch eine Anerkennung für die wirklich harte Arbeit zu bekommen, die in so eine Doktorarbeit einfließt. Ich habe gewissermaßen Glück gehabt, dass wir so etwas Spannendes herausgefunden haben, dass auch noch in der Fachzeitschrift Nature veröffentlich wurde. Die Arbeit, die hinter wissenschaftlichen Erkenntnissen steht, bleibt in anderen Fällen oft ungesehen.  
 

Das Interview führte Magdalena Warner.

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