Testosteron: ein männliches und weibliches Sexualhormon
Hühner liefern wichtige Einblicke in seine komplexe Wirkungsweise
Ein Wirkungsweg des „Männerhormons“ Testosteron erfolgt über die Bindung an den Androgenrezeptor. Forscher*innen an der Technischen Universität München (TUM) und des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz ist es erstmals gelungen, Hühner ohne Androgenrezeptor zu züchten. So konnten sie untersuchen, wie sich speziell der Androgen-Signalweg auf die Entwicklung und das Aussehen auswirkt: Tiere beiderlei Geschlechts sind unfruchtbar. Zudem sind einige – aber nicht alle – äußerlichen Geschlechtsmerkmale unzureichend ausgeprägt. Dies veranschaulicht, wie wichtig Testosteron ist, und zwar für beide Geschlechter. Es zeigt aber auch: der Androgen-Signalweg alleine macht noch keinen Hahn.
Warum kräht der Hahn und das Huhn eigentlich nicht? Diese Frage veranlasste Mitte des 19. Jahrhundert den Wissenschaftler Arnold Adolph Berthold dazu, einen Hahn zu kastrieren. Und siehe da: Vorbei war es mit dem morgendlichen Krähen. Damals wusste Berthold noch nicht, welche Substanz in den Hoden des Hahns eine Rolle spielt – mittlerweile wissen wir, dass es das Sexualhormon Testosteron ist.
Obwohl Testosteron auch beim weiblichen Geschlecht vorkommt und dort wichtige Funktionen erfüllt, wird es klassischerweise als „Männerhormon“ bezeichnet: Es ist maßgeblich an der Geschlechtsentwicklung, dem Aussehen und dem Aggressionsverhalten des männlichen Geschlechts beteiligt. Um seine Wirkung zu entfalten, bindet es an den sogenannten Androgenrezeptor. Dieser wird daraufhin aktiviert und setzt in der Zelle die Produktion bestimmter Proteine in Gang. Testosteron kann aber auch zu Östrogen – dem „Frauenhormon“ – verstoffwechselt werden, welches an einen anderen Rezeptor bindet. Das macht die Sache kompliziert: Wenn wir über Testosteron und seine Wirkung sprechen, welche Rolle spielt dann der Androgen-Signalweg?
Ein wissenschaftliches Team um Benjamin Schusser (TUM) und Manfred Gahr (MPI für biologische Intelligenz) untersuchte diese Frage in Vögeln nun genauer. In einem komplexen Unterfangen entwickelten die Forschenden mit der CRISPR-Cas-Methode genetisch veränderte Hühner, welchen der Androgenrezeptor fehlt. So konnten die Forschenden erstmals untersuchen, welche Auswirkungen der Androgen-Signalweg auf die Entwicklung, das Aussehen und das Verhalten von Hühnern hat. Diese Vogelart eignete sich für die Studie besonders gut: Hühner sind intelligente und soziale Tiere, die geschlechtsspezifische Verhaltensweisen wie das morgendliche Krähen der Hähne aufweisen.
Bei der Untersuchung der Junghähne stellte sich erwartungsgemäß heraus, dass sie unfruchtbar waren. Zudem waren einige der typischen äußeren Geschlechtsmerkmale nicht ausgeprägt: Dazu zählten unter anderem der Kamm sowie die Kehllappen und Ohrläppchen. Interessanterweise blieben andere Merkmale von der genetischen Veränderung unberührt: Die Schwanzfedern und der Sporn waren vergleichbar zu normalen Hähnen. „Wir waren überrascht, dass die männlichen Merkmale nur zum Teil verloren gingen. Das äußere Erscheinungsbild der Hähne wird demnach nicht ausschließlich durch den Androgen-Signalweg bestimmt“, erklärt Mekhla Rudra, eine der beiden Erstautorinnen der Studie.
Interessanterweise sah es bei jungen, weiblichen Hühnern ohne Androgenrezeptor ganz ähnlich aus: Auch sie waren unfruchtbar und die typischen Hautlappen am Kopf waren viel kleiner als normal. Dies führte dazu, dass zu dem untersuchten Zeitpunkt Hähne und Hühner äußerlich kaum zu unterscheiden waren – ganz anders als bei Hühnern mit Androgenrezeptor. Überraschenderweise produzierten die erwachsenen Weibchen zwar weiterhin Testosteron, aber ohne die Androgenrezeptoren legten sie weder Eier noch hatten sie einen Eisprung. Dies zeigt, dass Eibildung und Eiablage androgenabhängig sind.
Die Ergebnisse veranschaulichen, dass Testosteron in beiden Geschlechtern wichtige Aufgaben übernimmt. Es daher als reines „Männerhormon“ zu bezeichnen, ist zu simpel. Die Wirkweise des Hormons ist komplex und auch noch nicht gänzlich verstanden. Darüber hinaus gibt die Studie generelle Einblicke in die Geschlechtsentwicklung von Vögeln: Ein ausgeklügeltes Zusammenspiel hormonabhängiger und hormonunabhängiger Mechanismen scheint dafür verantwortlich zu sein.