Das Gehirn im Fluss – Nervenzellen im Prätektum berechnen großflächige Bewegungen
Neurobiologinnen zeigen, wie Bewegungsinformation durchs Fischgehirn strömt
Wir sehen mit dem Gehirn – die Augen liefern die Informationen. Doch, wie berechnen die Nervenzellen das Gesehene? Wissenschaftlerinnen am Max-Planck-Institut für Neurobiologie haben jungen Zebrafischen ins Gehirn geschaut und den Informationsfluss über einzelne Nervenzellen hinweg verfolgt. Die Studie zeigt, dass die Zellen im Auge Bewegungen der Umwelt vorfiltern, die Prätektum-Hirnregion die Information der zwei Augen zusammensetzt und dann an die Bewegungszentren weitergibt. Diese Bahn, Auge-Prätektum-Hinterhirn, besteht auch in anderen Wirbeltiergehirnen, und ist dort vermutlich ähnlich verschaltet.
Die Fotorezeptoren der Netzhaut nehmen Lichtveränderungen wahr, und nachgeschaltete Nervenzellen im Auge erkennen schon Bewegung. Die größeren Zusammenhänge werden jedoch erst tief im Gehirn hergestellt. Wie Nervenzellen sinnvolle Bilder aus einzelnen Lichtpunkten zusammensetzen und dann ein passendes Verhalten daraus ableiten, wird intensiv erforscht. „Wir können jetzt im Zebrafischgehirn nachvollziehen, in welchen Schritten Zellen großflächige Bewegungsinformation verarbeiten“, erklärt Anna Kramer, die mithilfe neuester Methoden genau dies geschafft hat.
„Wir haben die Aktivität vieler, genetisch vormarkierter Nervenzellen beobachtet und anschließend einzelne herausgefiltert, die auf großflächigen Bewegungen reagierten. Diese haben wir dann mit einem gezielten Laserstrahl mit all ihren Verästelungen sichtbar gemacht“, erklärt Kramer eine der eingesetzten Methoden. „Die Form dieser Zellen und ihre Anordnung gibt uns ein genaues Bild der betrachteten Hirnregion.“ Die so gewonnenen Daten haben Kramer und ihre Kolleginnen aus der Abteilung von Herwig Baier dann mit Zellrekonstruktionen aus dem parallel in der Abteilung entwickelten "Nervenzellatlas" abgeglichen. In Kombination zeigen die Methoden, wie sich ein Verhalten vom auslösenden Reiz im Auge seinen Weg zu den motorischen Zentren im Gehirn bahnt.
Bei dem untersuchten Verhalten handelt es sich um die sogenannte "optomotorische Reaktion", an der noch viele unbekannte Nervenzellen beteiligt sind. Mit diesem angeborenen Verhalten versuchen Fische, ihre Position in einem strömenden Gewässer zu halten: Bewegt sich ein Tier nach hinten, zieht ein Bild der Umgebung nach vorne an seinen Augen vorbei. Gegen diesen "optischen Fluss" schwimmen die Fische an, um ein Abdriften in der realen Strömung zu vermeiden. Im Labor haben die Wissenschaftlerinnen den Zebrafischlarven ein solches Abdriften durch vorbeiziehende Streifenmuster vorgegaukelt und den Tieren dabei mit hochauflösenden Bildgebungsverfahren ins Gehirn geschaut.
Die Neurobiologinnen konnten zeigen, dass richtungsselektive Nervenzellen der Netzhaut in einem ganz bestimmten Areal des Prätektums enden. Das Prätektum ist Teil einer Region im Fischgehirn, in der visuelle Eindrücke der beiden Augen verbunden werden und Verhaltensantworten vorbereiten. „Wir haben gezeigt, wie der neuronale Schaltkreis zur Erkennung des optischen Flusses im Prätektum aufgebaut ist und wie richtungsselektive Zellen visuelle Signale schrittweise in Bewegungskommandos umwandeln“, so Kramer.
Die Studie der Martinsrieder Wissenschaftlerinnen bekräftigt die Hypothese, dass visuelle Information vorsortiert über parallele Pfade ins Gehirn gelangen, wo sie dann bestimmte Verhaltensantworten auslösen. „Im Zebrafischgehirn können wir diese Vorgänge nun von Zelle zu Zelle verfolgen und daraus dann auch Rückschlüsse auf das Geschehen im Gehirn anderer Wirbeltiere ziehen“, erklärt Fumi Kubo, die Leiterin der Studie, die mittlerweile als Professorin am National Institute of Genetics in Mishima, Japan, arbeitet.